die Distanz
Jede Aktion kostet Zeit. Zeit, die über Erfolg oder Mißerfolg
entscheidet. Nehmen wir an, ein Angriff brauchte genauso lange wie die
Verteidigung gegen diesen. Da nun aber die Verteidigung nur die Reaktion auf
einen Angriff ist, hat der Angreifer einen Vorsprung, den sein Gegner nicht mehr
aufholen kann. Die Verteidigung muß scheitern.
Die für einen Angriff erforderliche Zeit verlänget sich mit zunehmendem Abstand
der Kombattanten zueinander. Für den Verteidiger ideal wäre daher die Entfernung
zwischen Nord- und Südpol. Da aber auch der Verteidiger gerne mal angreifen
möchte, halten sich die Kombattanten in der Regel entweder in der weiten oder
in der engen Mensur auf. Die weite Mensur begünstigt den Verteidiger, die enge
Mensur den Angreifer. Daher geht man mit dem Angriff in die enge Mensur und
zieht sich, wenn der Angriff beendet oder fehl geschlagen ist, sofort wieder in
die weite Mensur zurück.
In der weiten Mensur können sich nur die Klingen der Kombattanten berühren, erst
ein Ausfallschritt bringt sie in die enge Mensur und den Gegner hinter dem
Schwert in Reichweite. In Reichweite ist der Gegner dann, wenn man ihn mit den
oberen fünf bis zehn Zentimetern der Schwertklinge berühren kann. Alles andere ist zu nah
und ein Abstandsfehler, so lange man nicht den Ringkampf sucht.
Man sollte immer beachten, daß die Reichweite von Waffen, Größe und Proportionen
des Kämpfers abhängig ist. Es braucht daher viel Augenmaß und Erfahrung, um die
Distanzen richtig einzuschätzen.
Verteidigung: Zurückweichen
Die simpelste Form der Verteidigung ist ein einfaches Zurückweichen. Der Gegner
macht einen Schritt vorwärts, wir machen einen Schritt zurück. Der Gegner
unternimmt einen Ausfallschritt vorwärts - wir springen einen Schritt zurück.
Die Distanz bleibt gleich.
Zurückweichen:
Der rot umrandete Bereich markiert die "Todeszone" des Schwerthiebes,
der schwarze Pfeil die Hiebrichtung. Rot dargestellt ist der Angreifer, blau
dargestellt der Verteidiger.
Rot macht einen Schritt vorwärts, um in die Enge Mensur zu kommen. Blau weicht
so weit zurück wie Rot auf ihn zukommt und hält sich so aus der Todeszone
heraus.
Zurückweichen ist eine vergleichsweise einfache und einigermaßen sichere
Methode, um einem Angriff zu entgehen. Allerdings bleiben beide Kombattanten die
ganze Zeit über in der weiten Mensur, also außer Reichweite. Damit hat auch Blau
keine Chance auf eine Riposte, da Rot nach seinem Angriff zu weit entfernt ist.
Die Grenzen des Zurückweichens offenbaren sich, wenn der Gegner es nicht bei
einem Schritt beläßt. Auch wenn manche Leute im Rückwärtsgang sehr fix sind,
kann der Angreifer regelmäßiger schneller vorwärts laufen als der Verteidiger
rückwärts. Für den Verteidiger wird es dann sehr schnell sehr ungemütlich.
Verteidigung: Ausweichen
Beim seitlichen Ausweichen läßt man den Angriff ins Leere laufen oder leitet das
Schwert des Gegners mit der eigenen Klinge vorbei. Nach seinem derart
gescheiterten Angriff steht der Gegner ungeschützt in der engen Mensur und
wartet auf sein Ende. Erfolgreiches Ausweichen erfordert sehr präzises Timing
und natürlich perfekte Einschätzung der Distanz. Man passiert den Kampfkreis des
Gegners vor dessen Klinge.
Seine volle Reichweite erreicht
ein Schwerthieb nur in einem engen Bereich. Weicht man vor der
gegnerischen Klinge seitlich mit einem Schritt aus, geht der Hieb vorbei und der Angriff läuft ins
Leere. Vorausgesetzt natürlich, daß man die Distanz richtig eingeschätzt hat.
Man weicht immer entgegen der Hiebrichtung aus. Läuft man vor der Klinge her
(auf der Abb. wäre das Ausweichen nach links), kann der Angreifer seinen Hieb
korrigieren.
Die Abbildung ist vereinfacht und zeigt nur den für den Verteidiger
ungünstigsten Fall. Meist bewegt sich der
Angreifer auf den Verteidiger zu. Durch die Verschiebung wandelt sich der
Kampfkreis zu einer Ellipse. Dem Verteidiger wird das Ausweichen damit
erleichtert.
Ist die Distanz für ein einfaches Ausweichen zu kurz, kann man den Hieb auch mit
dem Schwert am Körper vorbei leiten. Die Riposte gelingt natürlich besser, wenn
das Schwert beim Ausweichen unbenutzt bleibt.
Erweiterte Anwendung: Grundsätzlich soll man beim Ausweichen niemals vor der
Klinge weg laufen. Allerdings: Wenn sich der Angreifer bereits in der
engen Mensur befindet (der Verteidiger hat dann entweder geschlafen oder sich
durch eine Kombination aufs Glatteis führen lassen), ist er als Angreifer im
Vorteil. Der Verteidiger kann sich nun durch ein Ausweichen in
Hiebrichung (in der Abb. wäre das nach rechts) in Verbindung mit einer
Parade wertvolle Zeit erkaufen. Zwar kann man vor der Klinge nicht davon
laufen, man kann aber den Weg verlängern, den sie zurück legen muß. Damit ist
noch manche Parade zu schaffen, die ansonsten mißlingen würde.
Angriff: Distanz überwinden
Wir haben gesehen, daß das Überwinden der Distanz, der Übergang von der weiten
zur engen Mensur, Grundvoraussetzung jedes erfolgreichen Angriffs ist. Wir haben
weiterhin gesehen, daß der Verteidiger sich in der weiten Mensur im Vorteil
befindet, da ihm genug Zeit bleibt, um auf einen Angriff zu reagieren. Die Folge
ist, daß der erste Hieb, mit dem der Angreifer in die Distanz einbricht,
normalerweise immer abgewehrt wird. Zum Erfolg führen kann daher nur eine
Kombination aus mehreren Hieben oder die Verwendung von Finten, mit denen man
sich durch die Verteidigung des Gegners arbeitet, bis sich eine Lücke auftut.
Wenn der Angriff abgeschlossen (auch ein sterbender Gegner kann noch töten) oder
aus welchen Gründen auch immer gescheitert ist, zieht man sich sofort wieder in
die weite Mensur zurück. In der engen Mensur hält man sich nur als
augenblicklicher Angreifer auf. Umgekehrt versucht ein vorsichtiger Verteidiger
natürlich, wieder in die weite Mensur zu kommen.
Provokation: Distanz unterschreiten
Neben dem offensiven Einbruch in die Distanz mit einem Ausfallschritt gibt es
noch die Möglichkeit der Unterschreitung. Man bewegt sich bewußt in die
Reichweite des Gegners und zwingt ihn so zu einer Aktion. Die Provokation ist
natürlich nur dann vielversprechend, wenn man glaubt, daß man bessere Reflexe
als der Gegner hat. Der Schlagabtausch geschieht dann sehr schnell und unter
weitgehendem Verzicht auf Technik. Das könnte so manchen "seriösen" historischen
Fechter ins Schwitzen bringen, weil er seine tollen Techniken in der engen
Mensur nicht anwenden kann.
Sonderfall: die Hände
Angriffe zu den Händen bedürfen gar keiner oder nur einer sehr geringen
Distanzveränderung. Der Verteidiger braucht "nur" die Hand weg zu ziehen, um den
Angriff abzuwehren oder ins Leere laufen zu lassen. Das ist leichter gesagt als
getan und es braucht viel Übung, um einen Angriff zur Hand rechtzeitig zu
erkennen. Wer es nicht geübt hat, wird im Kampf mit der Abwehr scheitern.
Distanz und Freikampf
Freikämpfer liefern sich nicht selten mehr oder weniger lange Schlagabtäusche in
der engen Mensur. Die Ursache dafür dürfte in den Trefferzonen zu finden sein:
Durch die großen Schilde und die eingeschränkten Trefferzonen (Oberschenkel,
Oberarme, Torso) muß man man sehr nah an den Gegner heran kommen, um zu punkten.
Der eine Ausfallschritt aus der weiten in die enge Mensur bringt einen dann
meist nicht nah genug an den Gegner heran, um eine gute Trefferchance zu haben.
Außerdem werden die Treffer im Halbkontakt und oft auch mit der Flachseite
gesetzt. Die Anwendung technischer Kniffe ist damit so gut nicht möglich.
Dennoch verschafft man sich durch die richtige Einschätzung von Abständen und
die damit korrespondierende richtige Bewegung eine gute Ausgangsposition.
Bei erweiterten Trefferzonen (insbes. Kopf) wird das Spiel mit der Distanz
interessanter. Es fällt auch schwerer, alle Trefferzonen zu decken, so daß es
schwieriger wird, in der engen Mensur Angriffe abzuwehren. Umso wichtiger ist
die Kontrolle über die Distanz.
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